Wo der Adventskalender aufhört… #RPGaDAY2015 geht in den fünfundzwanzigsten Tag.
Welches ist deine liebste, revolutionäre Spielmechanik?
(Favourite Revolutionary Game Mechanic?)
Puh! Da muss ich ehrlich gestehen, dass ich noch unschlüssig bin. Ich tüftele aktuell an einer etwas realitätsnäheren Würfelmechanik und stelle dabei fest, dass diese wohl letztlich dem Fate System sehr nahe kommt. Ist es also damit die Würfelmechanik von Fate?
Was ist eine realitätsnahe Würfelmechanik und warum sind die anderen Spielsysteme realitätsfern? Der Gedanke, den ich derzeit verfolge ist ein recht einfacher: Gebe ich einem Kind einen Bogen und lasse es einhundert mal auf eine entfernte Zielscheibe schießen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ins Schwarze trifft eher gering. Die Streuung der hundert verschossenen Pfeile ist dazu aber entsprechend hoch, so dass die Zielscheibe eher einem Igel gleichen dürfte und auch das Umfeld der Scheibe gut mit Pfeilen versehen ist, die das Ziel nicht erreicht haben. Das gleiche Szenario führe ich mit einem untrainierten Erwachsenen durch. Dieser hat schon eine höhere Chance das Ziel zu treffen. Vermutlich ist auch ein nicht unerheblicher Teil der Pfeile auf der Zielscheibe gelandet. Die Streuung ist deutlich geringer. Zuletzt nehme ich einen trainierten Bogenschützen. Vermutlich wird er das Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit treffen, aber auch er wird von den vielen Pfeilen den ein oder anderen nicht ins Schwarze versenken. Die Streuung, also Verteilung der Pfeile ist wohl sehr gering. (Wem dieses Bild durch die Zweidimensionalität zu komplex erscheint, kann auch den Hau-den-Lukas nehmen.)
Graphisch hätten wir es hier mit den sogenannten Gaußschen Glockenkurven zu tun, die beim Kind flach, breit und im unteren Bereich des Wahrscheinlichkeitsdiagramms ist. Beim Profi hingegen verläuft die Kurve spitz, schmal und weit rechts, also im oberen Bereich des Diagramms zu finden ist. Die folgende Grafik soll dies einmal veranschaulichen. Dabei kann die 10 auf der horizontalen Achse als das Bullseye (das Schwarze) der Zielscheibe verstanden werden und die kleineren Werte repräsentieren den Abstand vom Zentrum. Je höher die Kurve über einem Wert ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Pfeil das Ziel an dieser Stelle trifft. Jeder kann ins Schwarze treffen, doch für den Geübten (blaue Linie) oder Profi (gestrichelte Linie) ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher.
Eine zweite, korrespondierende Grafik ist leider auch noch erforderlich, denn oftmals ist es von Bedeutung, dass ein Minimalziel erreicht wird. Für die Grundschüler könnte das Ziel lauten, triff die Scheibe, also erreiche in unserem Fall einen Wert, der größer als null ist. Die Scheibe ist schließlich auch dann getroffen, wenn nur der Ring mit der 1 oder der 5, etc. getroffen wurde. Hierzu müssen die Wahrscheinlichkeiten für die Werte aufsummiert werden und es ergibt sich die folgende Darstellung.
Wie man an der Darstellung erkennt, ist die Wahrscheinlichkeit die Scheibe zu treffen (Wert 1 oder mehr zu erzielen) für das Kind (graue Kurve) deutlich niedriger, als für die stärkeren und geübteren Bogenschützen.
In der Würfelmechanik kann man die Gaußkurve durch die Augensumme mehrerer Würfel erzielen. Ab drei Würfeln (ganz gleich welcher Bauart) nimmt die Kurve im Häufigkeitsdiagramm die Form einer Glockenkurve an. Je mehr Würfel eingesetzt werden, desto schöner wird die Kurve. Unglücklicherweise bedeutet dies allerdings auch, dass viele Additionen erforderlich werden. Während dies ist bei bis zu vier sechsseitigen Würfeln noch sehr gut handhabbar ist, wird es danach zunehmend unpraktisch.
Bei Fudge Würfeln werden nur kleinere Zahlen addiert (-1 bis +1), was auch ein Grundschüler selbst bei einer größeren Zahl an Würfeln realisieren können sollte. Die Kurvenform der Glocke ist zudem primär durch die Anzahl der Würfel und weniger durch deren Augenzahlen beeinflusst. Von daher bietet sich der Einsatz von Fudge Würfeln an.
Für das Spielsystem Fate werden eben diese Fudge Würfel verwendet, jedoch in einer konstanten Zahl, nämlich immer genau vier Würfel. Angehoben wird der Wert dann noch durch ggf. vorhandene Fertigkeitswerte oder Boni. Für das Beispiel mit der Zielscheibe bedeutet dies, dass die verschossenen Pfeile im gleichen Radius um das bestmögliche Ziel verteilt liegen, unabhängig davon, ob ich ein Kind oder Robin Hood bin. Die Streuung ist bei beiden gleich groß. Während Robin Hood das Bullseye trifft und sein schlechtester Pfeil dann in der zwei steckt, trifft das Kind höchstens die vier und die andere Hälfte der Pfeile geht haarscharf an der Scheibe vorbei. Das Kind hätte demnach eine genauso geringe Chance das Bullseye (durch Zufall) zu treffen, wie Robin Hood (durch Pech) die Scheibe zu verfehlen – ein für mich nicht ganz nachvollziehbarer Punkt.
Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt zu berücksichtigen. Nicht jede Probe führt zu Ergebnissen mit einer Gaußkurve. Während die Ergebnisse von Kraft und Geschicklichkeitsproben wohl eher der Gaußkurve folgen, sind intellektuelle/geistige Proben vermutlich eher linear. Gilt es ein Wort zu übersetzen, so ist die Erfolgswahrscheinlichkeit linear davon abhängig, wie viele Vokabeln ich kenne. Kenne ich nur 10% der Worte einer Sprache, so ist die Chance das Wort zu kennen eben auch nur 10%. Es mögen auch hier äußere Umstände existieren durch die ich einer kurzfristige Amnesie ausgesetzt bin und mir das Wissen über den Begriff auf der Zunge liegen bleibt. Für diese Proben sehe ich einen klassischen Prozentwurf als gute Lösung an. Sie ist intuitiv und auch um halb vier Uhr morgens ist noch klar, dass eine Chance von 25% eher gering ist.
Auch ist ein näherer Blick auf die Beispiele Zielscheibe und Hau-den-Lukas nicht verkehrt, denn während man dem Grundschüler durchaus zutraut durch mindestens einen Glückstreffer das Bullseye zu treffen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die Glocke beim Hau-den-Lukas zum klingen bringt einfach illusorisch.
Die führt für mich also zu dem Schluss, dass EIN Würfelsystem für die unterschiedlichsten Arten von Erfolgsproben nicht ganz geeignet ist. Was dies für die Spielbarkeit betrifft, wenn ich nun unterschiedliche Arten von Probenwürfen je nach Fertigkeit habe, mag sich jeder selber denken.
Für mich ist also das Fate System dasjenige, dass reale Ereignisse in Kombination mit der Handhabbarkeit noch am Besten wiedergibt.
Eine Optimierung des Fate Würfelsystems ergibt sich für mich durch folgende von mir hier vorgeschlagene Option: Die Skillstufe einer Fertigkeit eines Charakters reicht von 0 (Glücksritter) bis hin zu 5 (Held). Bei einer Probe wirft er nun eine Zahl an Fudge Würfeln, die der Differenz seiner Stufe zu 10 entspricht und addiert das Ergebnis auf seine Stufe. Ein Novize in Sachen Bogenschießen (Stufe 2) wirft bei seiner Probe mit 10-2=8 Fate Würfeln. Die erzielte Augensumme reicht von -8 bis +8 wird auf seine Stufe (2) addiert. Das Resultat ist dann das Ergebnis seiner Probe.
Die folgende Grafik zeigt die unterschiedlichen Kurvenverläufe für die verschiedenen Fertigkeitsstufen. Die beiden gestrichelten Kurven sind die logische Fortführung der Stufen auf Level sechs und sieben, die allerdings einen entscheidenden Nachteil haben.
Das Charmante an der Wahl der Fertigkeitsstufen von null bis fünf ist die Tatsache, dass sowohl der Glücksritter eine (kleine) Chance hat das Ziel zu erreichen (kritischer Erfolg bei Maximalwert 10) als auch der Held eine (kleine) Chance hat das Ziel gnadenlos zu verfehlen (Patzer bei Werten kleiner oder gleich 0), ohne dass Klimmzüge wie alle Würfel zeigen “+”, also kritischer Erfolg oder alle Würfel zeigen “-“, also kritischer Patzer erforderlich sind.
Außerdem sind die Ergebnisse auf 10 normiert. Zwar muss auch der Held mit mindestens fünf Würfeln werfen um eine Streuung der Ergebnisse zu erzielen, doch das maximal mögliche Ergebnis ist eine 10. Alle Werte kleiner als 1 sind als Fehlschlag zu verstehen. Die Werte dazwischen können den Grad des Erfolgs von gelungen (1) bis episch (9) und legendär (10) angeben.
Weiter bin ich mit diesem Ansatz allerdings noch nicht fortgeschritten, ganz geschweige davon, dass es einmal erprobt wäre.
Worum ging es eigentlich? Ach ja, Spielmechanik. Nun habe ich Spielmechanik rein auf Würfelmechanik zusammengedampft, was nicht fair ist, denn Rollenspiel ist längst nicht nur Würfelei. Aspekte, Bennies, Kartendecks und Co. sind auch noch tolle Spielelemente, die eine Spielmechanik innovativ beeinflussen können.
So, das war aber wohl der längste Beitrag für #RPGaDAY2015. Vielleicht ist dies eine kleine Entschädigung für den sehr knappen Beitrag von gestern. Wobei so viel trockene Mathematik kaum jemanden zum Lesen dieses Beitrags bis zu diesen Zeilen veranlasst haben dürfte. Falls doch, freue ich mich über einen Kommentar auf dieser Seite.
Vorbildlich ausgearbeitet, aber ich geb zu, dass Realitätsnähe das letzte ist, was ich beim Rollenspiel suche – wichtiger ist mit Plausibilität. Und das geht auch mit einem W20 – oder einem W100 wie bei Cthulhu ;)