Mein Verhältnis zur Kirche ist immer noch nicht final entschieden1). Ich beobachte mit Argusaugen, aber dennoch interessiert, was denn da so alles passiert. Fleißig zahle ich jeden Monat meine Schuld an den Klerus und rede mir immer wieder ein, dass damit ja etwas Gutes getan wird. Meine bessere Hälfte war da eines Tages etwas konsequenter und hat aus wirtschaftlichen Gründen den Austritt aus dem Verein vollzogen.
Dennoch haben wir auch kirchlich geheiratet und für mein Geld habe ich auch eine wirklich schöne Trauung erhalten. Nun hat diese Ehe auch Früchte getragen und seit noch nicht so langer Zeit haben wir nun einen kleinen Sohn. Und nachdem die ersten Wochen überstanden waren, kam dann auch die Frage nach der Taufe auf. Erstaunlicherweise war es meine Holde, die dieses Ansinnen aufs Tapet brachte.
Ich selber bin insbesondere was die Kindstaufe anbelangt sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber eingestellt. Ich bin ein Freund der Erwachsenentaufe. Warum sollte ich für ein selbstbestimmtes Wesen eine solche Entscheidung zum Glauben treffen? Bei unserer Trauung haben wir geschworen den Nachwuchs im christlichen Glauben zu erziehen. Das stellt für mich auch zunächst kein Problem dar. Doch was hat der Kleine von der feierlichen Zeremonie und dem Bad im Taufbecken?
„Ihr Kind wird mit der Taufe in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen“, steht in einem Propagandaschreiben der Taufbefürworter, das mir meine Frau einmal vorgelegt hat. Nun, mal ganz ehrlich, heißt dies, dass unser Kind von der Gemeinschaft nicht aufgenommen wird, wenn wir es nicht taufen lassen? Wird es vor dem Tor stehen bleiben müssen und auf dem Pfarrfest keine Waffel mit Sahne bekommen? Wird Gott seine schützende Hand nicht über den Zwerg halten? Wenn dem so ist, will ich dann überhaupt Mitglied einer solchen Gemeinschaft sein?
Hat dieser Gott nicht selbst denkende Wesen geschaffen, die auch selber entscheiden können, ob und wann sie zu ihm finden? Oder was würde Gott dazu sagen?
Seit unser Tom sitzen kann ist das Tragen deutlich leichter geworden. Ich setze ihn auf meine Schultern und er hält sich an meinen Haaren fest. Ich fühle mich dabei immer an den Zeichentrickfilm Ratatouille erinnert. Dort sitzt eine Ratte auf dem Kopf eines Jungen und lenkt diesen wie eine Marionette durch das Ziehen an seinen Haaren. Tom hat mich so auch im Griff, aber nach einem Besuch bei meinem Frisör wurde diese Angelegenheit für mich erträglicher.
Mit Tom auf meinen Schultern schreite ich also wieder einmal durch die Himmelspforte. Wie immer haben wir einen strahlend blauen Tag erwischt und gehen unter den Platanen hindurch auf Gottes Palast zu. Tom ist zum ersten Mal hier und augenscheinlich ganz beeindruckt und begeistert. Gut, es ist nicht wirklich schwer ein kleines Kind zu begeistern. Bunte Vögel fliegen zwischen den Bäumen und den Springbrunnen hin und her und kommen auch uns dabei ganz nah. Ein Besuch hier oben ist immer wie ein kurzer Sommerurlaub: paradiesisch schön.
Am Ende des Weges steigen wir die Stufen hinauf durch das beeindruckende, riesige Portal. Auch mit dem Kind auf den Schultern muss ich mir nicht einmal im Ansatz Gedanken darüber machen, dass er sich vielleicht den Kopf stoßen könnte. Im Inneren, die Decken sind hier mindestens so hoch, dass unsereins ein Haus darin bauen könnte, empfängt uns die bereits bekannte, angenehme kühle Luft.
Ich begrüße den Empfangsengel und sage ihr, dass ich den Weg zu IHM kenne, ich sei ja schließlich schon ein paarmal hier gewesen. Sie müsse sich keine Mühe machen. Freundlich lächelt sie Tom an, der wie üblich mit allen Frauen flirtet und winkt mich durch.
Die große Halle beeindruckt mich immer wieder aufs Neue. Ein kurzer Gedankenblitz lässt mich die Heizkosten für einen solchen Raum überschlagen, bis mir auffällt, dass ich hier oben noch nie einen Winter miterlebt habe. Ob Gottes Palast mit Solarzellen ausgestattet ist? Nie Wolken, immer direkte Sonneneinstrahlung und riesige Flächen – das muss sich doch lohnen.
Wir nähern uns Gott, der diesmal eine strahlend weiße Kutte an hat. Vermutlich handelt es sich dabei um seinen Sonntagsanzug. Wie immer wenn ich IHN treffe ist er sehr beschäftigt und diskutiert mit seinem Assistenzengel. Ich nehme Tom von meinen Schultern und setze ihn auf den Boden. Ich bin nicht aufdringlich, wenn ich Gott besuche. Ich bin geduldig und warte höflich, bis ER sich mir zuwendet, das gehört sich so, wenn man dem Schöpfer gegenüber tritt.
Bei Tom ist das wohl noch etwas anders, er ist in keiner Weise geduldig und ehe ich mich versehe, krabbelt er auch schon in einem wahnsinnigen Tempo auf seine unnachahmliche Art auf Gott zu. Das Patschen seiner kleinen Händchen auf dem glänzenden Marmor schallt von den Wänden wider. Ich sehe die Handabdrücke und Speichelflecken, die seinen Weg zeichnen und entschuldige mich im Geiste bereits beim Putzengel (oder Putzteufel?), der mit Eimer und Wischmopp nachher wieder alles sauber machen darf. Ich habe bei meinen Besuchen hier oben alles immer sauber und ordentlich vorgefunden. Wie viele Reinigungsengel mögen hier wohl beschäftigt sein. Ach, ich bin doch so beschränkt im Geiste! Vermutlich hat Gott hier eine große Reinigungsmaschine, die des Nachts immer einmal durch die ganze Halle fährt und feucht durchwischt.
Während ich also noch über allzu menschliche Nebensächlichkeiten sinniere hat Tom die Chance ergriffen und ist bei Gott angekommen. Quiekend und Glucksend hat er dabei Gottes Gewand ergriffen und hangelt sich daran hoch.
„Tom! Nein!“, rufe ich ihm noch zu, als hätte dies jemals etwas gebracht.
Nun haben wir Gottes ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich eile hin während Tom sich an Gottes Kutte haltend, wackelig auf seinen Beinen stehend auf und ab wippt und dabei freudige, quietschende Geräusche von sich gibt. Er löst eine Hand und reckt diese zu Gott empor um zu signalisieren, dass er auf den Arm genommen werden möchte.
Gott versteht ihn sofort, beugt sich nach unten und nimmt den Kleinen auf seinen Arm.
„Vorsicht! Der Ba…“, rufe ich ihm noch warnend zu, doch Tom hat da auch schon Gottes langen Bart gefunden, sich fest in diesen verkrallt und rupft und zupft daran. Ich kann es nicht mit ansehen und befürchte schon Schlimmes, denn ich kenne die Schmerzen, die Tom durch das Ziehen an meinen Haaren verursacht hat. Wie unangenehm mag dies dann beim Zerren an der Gesichtsbehaarung sein.
Doch Gott bleibt überraschend entspannt. Der alte Mann ist wohl weitaus Schlimmeres gewohnt.
„Wen haben wir denn da?“, sagt ER und sieht sich den Knaben genauer an. Tom wirkt in Gottes Arm auf einmal wieder wie ein Neugeborener. Gott ist wirklich groß, ja, riesig, aber dabei nicht im mindesten angst- oder furchteinflößend. Tom ist friedlich und glücklich jetzt auch einmal auf mich herabschauen zu können.
„Das ist Tom“, sage ich. „Verzeiht, ich habe meinen Sohn für einen Moment aus den Augen gelassen.“
„Schau an, schau an. So lernen wir uns also auch einmal kennen“, spricht Gott während ER Tom gegenüber eine Grimasse nach der anderen schneidet und dieser sich vor Lachen und Kichern nicht mehr einbekommt.
„Ja, ich habe ihn noch nicht taufen lassen“, beichte ich IHM.
„Na und?“, antwortet Gott.
„Nun, manche Menschen machen sich so ihre Gedanken um sein Seelenheil.“
„Wie du siehst, hat er auch so den Weg zu mir gefunden!“, spricht Gott, wuschelt Tom durch sein dünnes Haar und reicht mir den Kleinen dann zurück.
Darauf weiß ich dann ehrlich gesagt auch keine Antwort mehr. Ich setze mir Tom wieder auf die Schultern, schüttele Gott zum Abschied die Hand und mache mich wieder auf den Weg zurück. Natürlich nicht ohne mir von Tom ein Büschel Haare ausrupfen zu lassen und in Gottes Cafeteria vorher noch eine warme Waffel mit Kirschen und Sahne für uns beide zu holen.
1) Dies ist ein älterer Beitrag aus meiner Reihe Gott und Ich, den ich vor ein paar Jahren verfasst und nun aus meinem Offline-Fundus hervorgekramt habe.
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