Yuki – Impressionen aus Seattle

Yuki schlug mit ihrem Holzkatana wild auf die Übungspuppe ein. Das Holz des Schwertes krachte auf den Hölzernen Mann als gäbe es keinen Morgen. Hiroto, der ältere Mann im Anzug hatte ihn ihr in die Hand gedrückt als er sie morgens wie einen nassen Pudel mit etwas zu großen Kleidern die nicht die ihrigen gewesen waren auf der Straße angetroffen hatte. Es war wie damals – als sie mit einem leeren verwirrten Blick durch die Straßen schlich. Er war einer der höherrangigen Yakuza-Männer des Kenran-Kai in Seattle, dessen Führung Kosuke Tomizawa oblag. Trotzdem hatte das Mädchen etwas an sich gehabt, was ihn dazu gebracht hatte sie in die Familie aufzunehmen. Wenn er etwas über ihre Vergangenheit heraus gefunden hatte, sagte er es ihr nicht – wenn überhaupt, würde er das Wissen über sie nutzen, um sie in der Familie zu halten. Sie hatte sich als talentierte und gelehrige Schülerin eines Adeptenweges gemausert, und trug nun schon einige Jahre dazu bei, dass das Ansehen der Familie florierte – er lies sie an der langen Leine solange ihre externen Aufträge nicht mit der der Familie kollidierten. Ausserdem erstattete sie der Yakuza Bericht über die Aufträge – sie war loyal, das hatte sie bewiesen.

Heute aber gefiel sie ihm ganz und gar nicht. Das Mädchen versprühte ein dermaßen hohes Ungleichgewicht wie er es noch nie bei ihr erlebt hatte. Sie hatte früh gelernt ihre Gefühle und Emotionen im Griff zu haben, erst Recht wenn es um ihre Arbeit ging. Schwäche war in ihrer gemeinsamen Welt kein gern gesehener Gast. Sie schwieg jedoch über das Geschehene. Er schaute ihr noch einige Minuten zu, und war über die Intensität der Schläge überrascht, war Yuki doch eher zierlich.

Yuki aber beachtete den Mann nicht. Sie war voller Ekel über sich selbst, und über das was sie getan hatte. Als sie endlich in ihr Viertel gekommen war, sackte ihre zur Schau gestellte Selbstbeherrschung in sich zu zusammen. Aber anstatt daran zu zerbrechen, wandelte sie die Angst und den Ekel in Wut um der aus ihr heraus brach. Doch hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Übungspuppe drehte sich und verpasste ihr einen harten Schlag in den Rücken der sie ohne jegliche Rücksicht auf den Boden Schleuderte und ihr gleich noch im Anschluss einen Schlag ins Kreuz verpasste. Sie blieb liegen, ihre nassen offenen Haare wirr über sich und den Boden verteilt. Sie keuchte, dann wischte sie sich die blutige Nase. Der Schmerz war ihr willkommen, er betäubte das, was sie fühlte.

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Dann kamen ihr die Bilder wieder in den Kopf:
Sie starrte auf das sich schließende Hoftor der DocWagon Filiale in Seattle. Der Auftrag war mächtig vergeigt worden und sie fluchte innerlich über den kleinen Pixie der sich nicht an die Absprachen gehalten hatte und sie allein in der Pathologie zurück gelassen hatte. Knock Knock, so hatte er geheißen – hatte sich von der Sicherheit erwischen lassen und sein Geschick sich heraus zu Reden hatte wertvolle Stunden verstreichen lassen. Zeit – die sie nicht wieder hatten aufholen können. Ihr sechster Sinn hatte sie dazu gebracht, in Gestalt der Verwaltungschefin der DocWagon Filiale, das Gelände zu verlassen. Der Auftrag, die Leiche aus der Filiale zu schmuggeln war gescheitert, der Leichenwagen den sie angefordert hatte, musste unverrichteter Arbeit wieder fort fahren, nachdem der Fahrer sich in Konfrontation mit einigen Fragen wiedergefunden hatte. Sie hatte ihren Teil der Arbeit erledigt, für einen Plan B war keine Zeit gewesen. Es war jedoch ihre alleinige Schuld, dass sie den Auftrag gegen DocWagon überhaupt angenommen hatte. Sie hätte den Hintergrund des Pixies besser prüfen müssen – jedoch hatte sie auf die Menschenkenntnis ihres Schiebers vertraut. Was für ein Irrsinn jedoch, mit ihm erneut einen Run zu beginnen. Jedoch brauchten sie einen vierten Mann und hier hätte er zur Not nur Schmiere stehen müssen. Ihr Johnson jedoch wusste, dass sie den letzten Auftrag mächtig vergeigt hatten. Also blieb ihr gar keine andere Wahl, als sich zu Beweisen. Ihr Leben hing davon ab, ihrer neuen Auftraggeberin ihre Fähigkeit zu beweisen – die Familie war stets gut zu ihr gewesen, jedoch wusste sie, das Versagen dort nicht gern gesehen war, es ging hier um die Ehre, ihr Versagen würde auf die Yakuza zurück fallen. Als sie beim vereinbarten Treffpunkt, dem Ticklers – einem edlen Nachtclub – auf ihre neuen Kollegen traf, hätte sie darauf geschworen, den eisigen Wind gespürt zu haben, den Al verströmte. Es war kein Problem gewesen mit der Einladung den Club betreten zu können. Sie musste noch nicht einmal ihre gefälschte Sin aktivieren, die sie zu der 22 Jährigen Gwendolyn Tan machte, Studentin der asiatischen Kultur und Magietheorie.

Die Luft im Club war etwas erdrückend. Die tanzenden, barbusigen Frauen trugen dazu bei, dass die Luft von Testosteron durchzogen war, auch wenn der teure Club eine gute Lüftung besaß. Sie fühlte sich hier nicht wohl, darum erinnerte sie sich daran, dass sie hier nach einer gewissen Dae fragen sollte, was sie an der Bar auch tat. Sie war verblüfft als der Barkeeper von ihr 300 NY einforderte – sie hatte dann dankend auf den Drink verzichtet und war auf direktem Weg zu ihrer Auftraggeberin gegangen. Schließlich traf sie auf ihre beiden neuen Kollegen. Al und John. Sie wirkten miteinander vertraut und die Weigerung der Frau namens Al, sich erst einmal die gesamte Auftragsbeschreibung anzuhören bevor sie der Bezahlung einwilligte, hatte sie verdutzt. Bevor sie jedoch vor der Mrs. Johnson ein riesen Theater aufzog, zog sie es vor sich mit den Beiden erst einmal zu besprechen. Al schien es egal was sie daran verdiente, auf Geld schien sie nicht angewiesen zu sein – was man von ihr selbst nicht gerade behaupten konnte. Vielleicht hatten die Beiden zuvor nie selbst verhandeln müssen – sollten sie weiterhin gemeinsam arbeiten – würde sie den Beiden ein ertragreicheres Verhandlungskonzept vorschlagen. Leider schien Dae vom Versagen des Teams im letzten Run zu wissen – was ihr nicht unbedingt viele Argumente gegeben hatte, mehr Geld heraus zu schlagen. Vielmehr spürte sie, das sie gezwungen war, dankbar diese erneute Chance aufzugreifen um überhaupt noch einen Auftrag zu bekommen, denn wenn einer den Auftrag versemmelte, versagte das ganze Team – dem Auftraggeber war es egal wer daran schuld gewesen war. Dae bestand jedoch auf vier Personen. Da ihre ehemaligen Kollegen jedoch gerade außerhalb der Stadt arbeiteten, war sie gezwungen, Knock Knock dazu zu bitten – vielleicht würde er seine Chance nutzen.

Die Aufgabe war es, einen Finanzmenschen verlässlich dazu zu überzeugen, für ihren Auftraggeber zu arbeiten. Dazu sollte im Leben des Mannes ein Druckmittel gefunden – oder eines erschaffen werden. Sollte der Auftrag in 48 Stunden erledigt sein, gäbe es einen Bonus – und die Anerkennung des Auftraggebers mit Aussicht auf lukrativere Jobs.

Die Auskundschaftung der Wohnung übernahm der Pixie. Auch Al und John streckten ihre Fühler aus, genauso wie sie selbst. Gerade war er in der Wohnung. Er hatte drei Kinder im Alter von 3, 5 und 7 samt Ehefrau. Er schien ein liebender Vater und Ehemann zu sein, ohne Leichen im Keller was die Arbeit etwas erschwerte. Yuki sah ihre Felle dahin schwimmen. Bevor sie noch langwierig einen Mord konstruieren mussten, hatte sie etwas vorgeschlagen ohne sich über die Folgen wirklich Gedanken zu machen. Sie hatte nachgedacht und war die fachlichen Kompetenzen des Teams durch gegangen – und dessen Nutzen für den derzeitigen Auftrag. Ihr Team hatte sich für den Vorschlag schnell begeistern lassen, sodass sie ohne ein weiteres Konzept zu erarbeiten die Zeit genutzt hatten um den doch eher moralisch verwerflichen Plan zu erarbeiten. Die Zeit war hier nicht ihr Freund gewesen. Schon morgens am nächsten Tag um sieben sollte es losgehen. Dazu wurde ein Motel in der Nähe des Wohnortes des Mannes als Austragungsort gewählt. Das Konzept war ekelhaft aber einfach. Erpressung – Gegenstand war sexuelle Belästigung einer Minderjährigen – gefilmt in Flagranti. Yuki sollte ihre Adeptenfähigkeiten nutzen. Im Spiegel sah alles perfekt aus. Blonde Locken und ein engelhaftes Gesicht. Noch in der Nacht bezogen sie drei benachbarte Zimmer. Doch am frühen Morgen ging es schon los. Knock Knock hatte Kameras und Mikros platziert, Al hatte sämtliche Getränke im Zimmer des Mädchens mit der neuen hippen Droge eX versehen, um den Mann in den passenden Zustand zu versetzen. Begierde und Lust. Dazu wurde ein Beutelchen Feenstaub im Bettrand versteckt, um es dem Opfer auf die Schleimhaut aufzutragen. Al Bestand darauf, Yuki mit zwei Flaschen Smirnoff entspannter zu machen.

Eigentlich hatte alles ziemlich einfach begonnen. Sie war dem Mann auf seinem Weg zur Arbeit in einer 30er Zone mit ihrem Powerboard ins Auto gefahren und einen Unfall mit schmerzendem Knöchel fingiert. Das engelsgleiche Gesicht tat sein Übriges. Er trug das Mädchen in ihr Motelzimmer, anfangs noch so besorgt, dass er sie zu einem Arzt fahren wollte, tat die Magie des Pixies ihr übriges. Mentale Beherrschungsmagie war etwas widerliches. Knock Knock pflanzte ihm die Erinnerung ein, Spaß an derlei Kontakten zu haben und die Drogen taten ihr übriges. Letztendlich hatten sie ihn so weit, er suchte den Kontakt zu ihrem fiktiven ich – und die Kameras fingen alles ein. Sie hatten ihn. Jedoch… was in ihr dabei vorgegangen war, würde sie nicht mehr vergessen. Ihre Chummer waren mehr als zufrieden, so auch ihre Auftraggeberin. Sie selber rannte jedoch ins Badezimmer und schloss sich ein. Das Wasser der Dusche erstickte die Geräusche von außen – es war nichts weiter passiert – das versuchte sie sich immer und immer wieder einzureden. Verzweiflung brach in ihr los – sie war allein und wollte auch niemanden sehen – der Sturzbach fiel kalt über sie hinab und sie vergaß die Zeit, bis sie ein heftiges Klopfen an der Türe hörte, gepaart mit der Aufforderung in 5 Minuten das Motelzimmer spurlos verlassen zu haben. Sie schloss ihre Augen und ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihren Ohren. Ohne groß nachzudenken drehte sie den Hahn zu, das Gesicht gen Duschkopf gestreckt, dann öffnete sie ihre Augen und Griff wie in Trance zu einem Handtuch das sie um ihren nassen Körper wickelte. Geübt entfernte sie ihre Spuren – ihre Haare die im Abflusssieb hingen und sämtliche Fingerabdrücke. Als sie in den Spiegel sah, kam ihr das Bild wieder in den Kopf, wie der um Jahre reifere Mann hinter ihr gestanden hatte und das Bad erst nicht verlassen wollte – sie spürte die Panik wieder hoch kommen die sie gespürt hatte als er sich nicht aus dem Bad hinaus ziehen lassen wollte – dann hatte er nach gegeben. Das Blut pulsierte in ihren Ohren als sie, noch in Gestalt des jungen Mädchens mit dem engelsgleichen Gesicht, John passierte, der es nicht gewagt hatte ihr auch nur lobend auf die Schulter zu klopfen. Sie wartete draußen bis sie schließlich gemeinsam wegfuhren. Sie trafen sich zur Geldübergabe und zu einer kurzen Nachbesprechung – die sie nur wie durch Watte wahrgenommen hatte. Später hatte sie erfahren, das Dae gekommen war und den Mann mit seinem zukünftigen Leben konfrontiert hatte – ihm blieb keine andere Wahl, er musste wohl Geld verschieben, oder so etwas ähnliches. Dabei würde er nicht schlecht verdienen. Doch was bleiben würde, war die Erinnerung an das was er getan hatte. Und auch sie würde es wohl nie vergessen.

Yuki stand auf, hielt sich die schmerzende Stelle am Rücken und legte das Holzkatana auf die Bank. Das Training hatte ihr gut getan – auch wenn sie wohl niemals lernen würde wie sie sich mit diesem Ding nicht selber wehtut. Sie hatte das getan was sie musste – hatte niemanden enttäuscht und der nächste Auftrag wartete schon auf sie. Aber es fühlte sich richtig Scheiße an.


Ein Erfahrungsbericht über den Run “Schönes schmutziges Geld” vom 18. April 2015 aus dem Shadowrun Kampagnenband Geisterkartelle.

 

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